Poesie zwischen A4 und B264

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Prof. Günther H. Blecks
Dr. Ulrich Schneider
Karl-Heinz Jeiter


BILDER


Über einen Künstler, seine Bilder der Natur und seinen Garten

Es war im Jahre 1989, als ich Albert Borchardt bei einem Besuch im Malereiatelier des Fachbereichs Design der Fachhochschule Aachen am Boxgraben kennenlernte. Er hat sich dort eine mit Stellwänden abgetrennte Koje eingerichtet, in der er allein arbeitete. Der große, helle, von Oberlichtern sonnendurchflutete Atelierraum wurde offensichtlich von mehren Künstlern genutzt, denn er war in weitere separate Kojen und Arbeitsecken unterteilt. Groß war das Chaos, das mich umgab. Ich stand inmitten einer Unmenge von Farbgefäßen und Papieren, von Bildern auf Staffeleien, von auf dem Boden stehenden Skulpturen, Tischen voller Farbdosen, Steinen, Fundsachen, wackeligen Stühlen und sonstigem Krimskrams, eben Gegenständen, die sich in Künstlerateliers so ansammeln. Ein sympathischer Ort, anheimelnd und interessant zugleich. Es gab vieles zu schauen und zu tasten, es roch nach Leinöl und Farben, gemischt mit Kaffeeduft aus einer gurgelnden Kaffeemaschine.

Es war gerade die Zeit der Sommersemesterferien. Albert Borchardt war einer von denen, die ihr Studium im Fachbereich Design vor wenigen Wochen erst abgeschlossen hatten und es nun wagten, ihre ersten Gehversuche in eine unsichere Existenz als freischaffende Künstler zu unternehmen. Der > Sprung ins kalte Wasser <, das heißt der abrupte Übergang aus dem wohlbehüteten, geregelten und finanziell abgesicherten Studium in eine Phase der Orientierung, sowohl in künstlerischer wie auch in ökonomischer Hinsicht, fällt vielen jungen Künstlern sehr schwer und läßt sie nicht selten frühzeitig scheitern.

Hier in dieser vertrauten Umgebung wurde ihnen von ihren ehemaligen Professoren Christiane Maether und Ulf Hegewald die Möglichkeit gegeben, zumindest für einige Wochen in den Semesterferien ungestört ihre konzeptionelle Arbeit zu entwickeln, sich gewissermaßen sachte von der Hochschule abzunabeln. Schon bei unserer ersten Begegnung nun, und das ist der Grund, warum ich die Situation ausführlich beschreibe, hatte ich gleich das Gefühl, daß dieser junge Künstler dieses für viele so hilfreiche, ja notwendige Angebot der Hochschule zwar in Anspruch nahm, sicher aber nicht unbedingt nötigt hatte. Albert Borchardt würde auch so > seinen Weg machen <, wie ich aufgrund seiner wenigen Arbeiten, die ich sah, und des Eindruckes, den er auf mich machte, gleich zu erkennen glaubte. Jetzt, nach einigen Jahren, kann ich in der Rückschau sagen, daß ich mich damals nicht getäuscht habe -- Albert Borchardt hat als Künstler > seinen Weg gemacht <.

Doch noch einmal zurück ins Malereiatelier am Boxgraben. In seiner Arbeitskoje hing an der Stirnseite eine große Arbeit, die mich gleich beeindruckte. Sie wiederholte auf einer Vielzahl kleiner Holztafeln immer das gleiche Motiv, das eines toten Vogels, der aus verschiedenen Blickwinkeln zentral ins Bild gesetzt war. Es dominierten erdige Braun-, Ocker- und Grautöne. Gekonnt gesetzte Pinselschwünge ließen das Motiv, aus der Nähe betrachtet, vergröbert oder stilisiert, fast als abstraktes Gebilde erscheinen.Aus größerer Distanz war es jedoch klar wieder als realistische, figurative Darstellung eines toten Vogels zu erkennen. Ein Stück Natur, bizarr und harmonisch zugleich war das Objekt nach beharrlicher, fast analytischer Beobachtung, in einem scheinbar spontanen Malakt unprätentiös bildnerisch umgesetzt worden.

Ruhig und beharrlich erschien mir auch der Künstler Albert Borchardt. Im Gespräch mit ihm erfuhr ich von seiner besonderen Liebe zur Natur, zu den Tieren und Pflanzen und zur Landschaft. Er erzählte von seinem Hund, der den toten Vogel gefunden hatte, von seinem Pony und seinem Atelier in einem ehemaligen Pferdestall auf Haus Palant, einem wunderschönen, unter Denkmalschutz stehenden alten Gutshof bei Weisweiler, in dem auch seine Eltern leben.

Er erzählte von seinen ausgedehnten Spaziergängen in der Landschaft dort, um neue Motive zu finden - so thematisierte denn auch die zweite große vielteilige Arbeit, die ich damals sah, diese heimatliche Landschaft bei Weisweiler. Vor allem aber erzählte er von seinem großen Nutz- und Ziergarten. er entpuppte sich geradezu als ein Experte für Gartenbau, der das ganze Jahr über genausoviel Zeit in die Pflege seines Gartens zu investieren schien wie in seine Malerei.

Dies, was ich damals sah und von Albert Borchardt erfuhr, unterschied sich sehr von dem, was ich von vielen anderen jungen Künstlern wußte. Von Künstlern, die sich zerreiben in einem urbanen, hektischen Kunstbetrieb, ständig auf der Suche nach Kontakten in > Szenetreffs < und auf Vernissagen, die ihre Kunstproduktion bewußt oder unbewußt, entweder unsicher oder in übersteigerter Selbstüberschätzung, dem aktuellen Kunsttrend anpassen.

Albert Borchardt erschien mir anders, für einen jungen Künstler eher untypisch besonnen. Hier stand jemand ganz ruhig vor seinen Bildern, erzählte von seinem Hund, seiner Kohlrabi- und Kürbisernte genauso, wie von seinen neusten Bildideen, ohne dabei im geringsten ökoverträumt oder gar naiv zu wirken. Eher sehr wach wirkte er, aber auch ein wenig unterkühlt, eben wie jemand, der weiß, was er will, der sich seiner Sache sicher ist und deshalb ganz unaufgeregt auf seinen Erfolg warten kann.

Er brauchte nicht lange zu warten. Schon wenige Wochen später sah ich ihn wieder, als er zusammen mit ca.25 anderen, teils namhaften Künstlern aus ganz Deutschland im Von der Heydt-Museum in Wuppertal für das renommierte Villa Romana - Stipendium in Florenz vorgeschlagen wurde. Albert Borchardt bekam als einer der jüngsten und wohl auch unerfahrensten Künstler, zusammen mit drei anderen das Stipendium. Die Auswahljury hatte seine vielteilige Landschaftsarbeit bewertet und in ihr enthaltene künstlerische Kraft entdeckt. Albert Borchardt tauschte schon im darauffolgenden Jahr, 1990, für 10 Monate sein Atelier in der traditionsreichen Villa Romana in Florenz und der Toskana. Ein großer Erfolg, der ihm aber, ganz seiner unerschütterlichen Natur entsprechend, nicht zu Kopfe stieg. Ganz gelassen fuhr er nach Italien. Nur seinen Garten, so klagte er, würde er nun ein ganzes Jahr nicht pflegen können. In den nachfolgenden Jahren bis heute hat Albert Borchardt noch eine ganze Reihe von Stipendien und Preisen zuerkannt bekommen. Stipendien, verbunden mit längeren Aufenthalten in Finnland, auf Schloß Ringenberg und Bad Münster am Stein-Ebernburg brachten ihn künstlerisch voran und sicherten zusätzlich seine Existenz als freischaffender Künstler. Ebenso halfen ihm Förderpreise aus Weilburg und Minden. Galerien in Dortmund, Mannheim und Berlin interessieren sich für seine Arbeiten, stellten sie aus.

Sein Thema und seine Malweise hat Albert Borchardt bis heute kaum verändert. Noch immer sind Natur, die Landschaft der Gegenstand seiner Malerei. Wie in einer Bestandsaufnahme sammelt er eine Vielzahl von einzelnen Motiven, vergröbert und stilisiert sie, läßt Einzelheiten weg, erfaßt nur das Wesentliche. Landschaft pur, nüchtern betrachtet, aber lustvoll und gekonnt mit dem Pinsel fixiert, entsteht.

Wie die alten Impressionisten zieht Albert Borchardt in die freie Natur und arbeitet vor Ort, eine Vorgehensweise, die in der aktuellen Kunst selten geworden ist. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad erkundet er das Gelände. Hat er sein Motiv gefunden, muß der Malvorgang zügig vonstatten gehen. Die mit Nessel kaschierten Hartfaserplatten, die er mit sich führt, haben deshalb mit 18 x 24 cm Größe ein kleines handliches Format und sind schon zweifach vorgrundiert. Die untere Grundierung besteht aus weißer Dispersionsfarbe, die obere aus caput mortuum, einem rostroten Farbton. Dieser verleiht den Bildern, an den Rändern und an einigen Bildstellen hervorblitzend, meist einen warmen Grundton, taucht sie in eine freundliche, herbstliche Stimmung. Vor Ort wird das Motiv auf wenige, meist nur 5 bis 10 Farbflächen reduziert. Die zuvor mit Pigmenten selbst angemischte Acrylfarbe wird in Primamalerei mit trockenem Pinsel aufgetragen. Oliv, ocker, braun, blaugrau erscheinen die Farbflächen. Natürlich dominiert in den Landschaftsbildern die Horizontale, nur selten unterbrochen von der Diagonalen einer Straßenflucht oder eines Feldrains oder von einzelnen Elementen in der Landschaft, wie einem freistehenden Baum, einer Strohmiete oder dem gefleckten Rücken einer Kuh - es sind ruhige, ausgewogene Ausschnitte, die auch einer wenig aufregenden Landschaft Poesie, Schönheit und Würde abgewinnen.

Im Atelier gruppiert Albert Borchardt an der Wand 9, 12, 70 oder sogar über 100 der Bildtäfelchen zu inhaltlichen wie formal zusammenhängende Werkgruppen. Diesen Arbeiten verleiht er dann so prosaische Titel wie > Niederrhein - 930801 - 930828 < bestehend aus 70 Teilen, oder > Poesie zwischen A4 und B264 <, eine 49-teilige Hommage an die Äcker, Wiesen und Rübenfelder seiner Heimatlandschaft (siehe Abbildungen) oder einfach nur > BME 34 <, bestehend aus 9 Teilen (siehe Abbildung). Zuweilen vermischt er auch Motive zweier unterschiedlicher Landschaften, wie in der 25-teiligen Arbeit > Dialog Weisweiler/Niederrhein < . Eine Art >Schachbrett< entsteht, der Betrachter darf raten, welches der formal sich nur wenig unterscheidenden Teile wohl in welcher Landschaft entstanden ist.

In den letzten beiden Jahren hat sich Albert Borchardts uvre noch um eine neue Werkgruppe erweitert: Arbeiten, die parallel zu den beschriebenen Landschaftstäfelchen entstanden sind, sich aber in mehrerlei Hinsicht stark von diesen unterscheiden. Es sind monochrome, größere Arbeiten, ausschließlich in den beiden Formaten 65 x 70 cm oder 200 x 280 cm. Sie sind nicht in der freien Natur, sondern im Atelier entstanden und in Ölfarbe auf Nessel, also in einer anderen Technik, ausgeführt. Seinem Thema aber ist Albert Borchardt auch in diesen Bildern treu geblieben. So zeigt zum Beispiel eine dieser Arbeiten eine erdbraune Farbfläche, die von oben bis unten durch einen groben, regelmäßig getupften Pinselduktus in horizontale Linien unterteilt ist. Auf den ersten Blick ein abstraktes, monochromes Bild liest man aber den Titel, der > Ackerspuren < heißt, sieht man nun, wie aus der Vogelperspektive, auf ein gleichmäßiges, pures Stück Landschaft. Bei dem großen, monochrom olivgrünen Gemälde verhält es sich ähnlich. Das < abstrakte <, scheinbar ungegenständliche Bild entpuppt sich natürlich als eine Grasfläche, wenn man seinen Titel, der ganz lapidar > verdorrte Wiese < lautet, gesehen hat (Abbildung).

So einfach kann das sein, Albert Borchardt zeigt es uns: Da ist ein Ausschnitt aus der Natur, ein ganz unspektakulärer, der es aber wert ist, gemalt zu werden. Ein Stück Natur, das auch in seiner abstrahiert erscheinenden Umsetzung, mittels pastos aufgetragener Ölfarbe auf Nesselstoff, an den Spaziergang über eine duftende und summende Wiese im Hochsommer denken lassen kann. Das Bild, das dann im Kopf des Betrachters aus seiner Erinnerung entsteht, hat er vielleicht schon viel zu lange so nicht mehr sehen können. Diese, Albert Borchardts Umsetzung einer Wiese, inhaltlich so direkt wie formal vage, läßt ihm die Freiheit, sein eigens Bild von >Wiese< zu sehen.

Beachtung finden sollten auch die Zeichnungen Albert Borchardts, die in einer Mischtechnik aus Graphit mit Ölfarbe auf leinölgetränktem Papier entstanden sind. Sie zeigen ein klassisches Thema: Früchtestilleben. Da lag es nahe, daß Albert Borchardt sich dafür seines Gartens bediente, und so entstand ein origineller Zyklus von Zeichnungen mit Dahlienknollen (siehe Abbildung > Dahlia < ).

Die künstlerische Arbeit Albert Borchardts verfolge ich nun seit 1989 daraus entwickelte sich eine Freundschaft. Wenn er meine Frau und mich besucht, bringt er meistens einige geerntete Erzeugnisse für unsere Küche mit und gibt uns viele nützliche Ratschläge für unseren bescheideneren Garten, in dem auch einige seiner Dahlienknollen stecken.

Karl-Heinz Jeiter, Aachen 1996
Künstler aus dem Aachener Raum, Sparkasse Aachen



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© Albert Borchardt mail
©Text: Karl-Heinz Jeiter, Aachen

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